Neurochwitz ("Kamerun")

Von Karl Richter und Tilman Deutscher, erschienen im Dresdner Geschichtsbuch Band 15, DZA Altenburg 2010,
ergänzt durch weiteres Material, u.a. von Marlis Behrisch und Rolf Gäbel

Neurochwitz
Neurochwitz auf einem Meinhold-Planvon 1900

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts lag zwischen Ober- und Niederrochwitz der Rochwitzer Tännicht, ein Waldstück vorwiegend aus Bauernforstparzellen bestehend. Ab 1881 begann nach Überlieferung der Holzeinschlag auf dem Gebiet des heutigen Ortsteilkernes von Neurochwitz. Im Jahr 1883 erwarben die Brüder Karl und Gustav Pietsch (Loschwitz) dieses Land. Noch heute erinnert der Zweibrüderweg an sie. Gemeinsam mit dem Bauherrn Ernst Baudisch begannen sie den ehemaligen Urwald in ein Wohngebiet zu verwandeln. Und so entstanden eine Scheune und 1884 das erste Wohnhaus.

Ein weiterer Pionier jener Zeit, der Bauunternehmer Karl Hanke (1860–1945), schrieb 1939 in seinen Erinnerungen über die Entstehung des Ortsteiles:
Der Name 'Kamerun' verdankt sein Entstehen dem Pionier Ernst Baudisch, welcher, als sein Haus zum Heben fertig und aufgestellt war, als Hebebaum die Kamerunflagge oben anbrachte. Vorher hatte er ein Starhäuschen mit der Bezeichnung "Station Kamerun" auf einer Stange angebracht. Dies ist zurückzuführen auf die Kolonialfrage, die damals unter dem großen Kanzler von Bismarck akut war.


Ob Baudisch direkte Beziehungen zu Kamerun hatte, ist nicht bekannt. 1893 wurde von Gustav Pietsch das "Restaurant Kamerun" gebaut. Eine Ausflugsgaststätte, wie sie zu dieser Zeit üblich war. Es entstand eine Gaststätte mit Tanzsaal und Vereinszimmer, mit einem großen Gästegarten und Musikpavillon sowie Außentanzfläche, selbst eine Asphaltkegelbahn war vorhanden.

Das Restaurant "Kamerun" auf historischen Postkarten, Sammlung Karl Richter


Nach 1950 wurde sie geschlossen und bis Ende der 1970er Jahre als Großhandelslager genutzt.
Um 1980 begann eine hoffnungsvolle Zeit für das alte Gemäuer. Das Hilfswerk der Christengemeinschaft der damaligen DDR hatte das Anwesen erworben, mit dem Ziel ein Altenheim zu errichten. In der Zeit vor und während des Umbaus entstand eine umfangreiche Dia-Dokumentation, eine Bestandsaufnahme der reich ausgestalteten Gasträume. Sie befindet sich heute im Archiv des Altersheimes der Christengemeinschaft. Im Lokalteil der Dresdner Tageszeitung "Union" konnte man 1983 lesen: "Wenn alles gut läuft, wird es Ende 1985 weitere 60 Kameruner geben, die in dieser freundlichen Dresdner Landschaft, mitten im Grünen und doch nicht völlig abgeschieden vom Großstadtleben, ihren Lebensabend verbringen können." Dieser Wunsch hat sich schon lange erfüllt.
Wenige Jahre nach dem Bau des "Restaurant Kamerun" errichtete der Bauherr Karl Letsch eine weitere Gaststätte. Mit dem Antrag zum Bau eines Wohnhauses an der heutigen Kottmarstraße 1 entstand 1896 die Gaststätte "Bergschlößchen". Bis 1909 erfolgten Um- und Anbauten. Sie wurde ein zentraler Ort für Kurbetrieb und Sommerfrische und bestand bis 1927. Im Jahr 1928 begann der Umbau zu einem Kinderheim. Noch heute befindet sich in dem Gebäude eine Kindertagestätte. Aus dem großen Gästegarten wurde ein Erlebnisspielplatz. Die Einrichtung wird von den Kindern und auch von den Eltern sehr gut angenommen.

Der Hausbesitzerverein von Rochwitz war daran interessiert, dass seine Mitglieder noch stärker von Sommergästen profitieren konnten. Der bisherige Zugang von Loschwitz und Bühlau sollte weiter verbessert und nach neuen Möglichkeiten gesucht werden. So vergab der Verein 1911 einen Auftrag zur Erarbeitung eines Brücken-Projekts, einer Querung, welche den Loschwitzgrund überspannen sollte.

Brückenprojekt
Brücken-Projekt Oberloschwitz – Rochwitz 1911 (Postkarte), Sammlung Karl Richter


Der in Neurochwitz lebende Architekt Paul Marcus erarbeitete ein solches Projekt und stellte es vor. Im Juni 1911 fasste der Gemeinderat von Rochwitz den Beschluss, die Realisierung des Projektes voranzutreiben und es den Gemeinden Loschwitz und Weißer Hirsch zu unterbreiten. Grundsätzlich begrüßten die angesprochenen Gemeindevertreter aus Loschwitz und dem Weißen Hirsch dieses Vorhaben. Problematisch erwiesen sich lediglich die Finanzierungsfragen. Der Gemeinderat Rochwitz schrieb 1913 den König von Sachsen an, mit der Bitte um Unterstützung.1
Noch Anfang 1914 ist in der Lokalpresse ein Artikel zu finden, in dem die Verwirklichung des Projektes "in Jahren" als möglich gesehen wird. Sicher hat der Erste Weltkrieg alles vereitelt.
Der Verlauf der Brücke war vom Anfang der heutigen Weißer-Hirsch-Straße in Neurochwitz zur Straße "Am Weißen Adler" angedacht.

Neurochwitz, der jüngste Ortsteil von Rochwitz, bestand 1909 schon 25 Jahre. Das war ein Grund zum Feiern. Zwei Gaststätten waren vorhanden, und um sie hatte sich ein Ortskern entwickelt. Unter Leitung eines Festausschusses und der Unterstützung durch den Gemeinderat wurde das 25-jährige Jubiläum mit einem Programm gefeiert. Bei dieser Feier waren auch noch die ersten Bauherren aktiv.



Auch zum 50-jährigen Bestehen 1934 veranstalteten die Einwohner am 8. und 9. September ein Heimatfest. Die meisten Einwohner schmückten ihre Häuser. In der Folgezeit kam keine Feierstimmung mehr auf. Krieg und Nachkriegszeit prägten das Geschehen und manches geriet in Vergessenheit.

Um so erfreulicher, dass im Jahr 2008 ein "Neukameruner" Bürger sich mit der Ortsgeschichte beschäftigte und feststellte, dass 125 Jahre seit der Besiedlung verflossen waren. Er rief zur Organisation des Ortsfestes "125 Jahre Neurochwitz/Kamerun" auf, und gemeinsam mit 20 Gleichgesinnten und Helfern konnten die Anwohner am 4. und 5. September 2009, unter großer Beteiligung von Künstlern und Gewerbetreibenden, dieses Jubiläum mit einem Straßenfest begehen. Das Kamerun-Fest war ein großer Erfolg und wurde dankbar angenommen. Eine vielbeachtete Ausstellung mit historischen Bildern und Fotos konnte nur gezeigt werden, weil Rochwitzer und ehemalige Kameruner Einwohner ihre privaten Fotosammlungen zur Verfügung stellten. Durch die logistische Unterstützung des Kunst- und Kulturvereins "Alte Feuerwache Loschwitz" konnten alle organisatorischen Fäden gebündelt und viele Unterstützer und Sponsoren gewonnen werden.

Auch 2014 wurde im kleineren Rahmen das 130-jährige Gründungsjubiläum, u.a. mit Kinderfest, gefeiert.

Jubiläumswappen
Festschrift 125 Jahre Kamerun
Festschrift 125 Jahre Kamerun, 47 Seiten (PDF, 30 MB, bitte klicken zum Herunterladen)

Und 100 Jahre früher:
Programm 25 Jahre Kamerun
1 Stadtarchiv Dresden, Sign. 8.45 Akte XVIII 60.

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