Rodelbahnen
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Schon vor über hundert Jahren war Oberrochwitz ein Ziel für Dresdner Rodler. Nicht umsonst befinden sich hier die einzigen Straßenschilder der Stadt mit der Aufschrift "Rodelweg". In den Jahren um den den Ersten Weltkrieg gab es sogar zwei kommerziell betriebene Rodelbahnen: Der noch heute vorhandene Rodelweg und die ehemalige, sogenannte Waldrodelbahn unterhalb der Wichernhütte parallel zur Tännichtstraße. Auch wenn andere Rodelbahnen, was Steilheit und Schnelligkeit betrifft, die Rochwitzer Bahn in den Schatten stellen, besticht diese durch ihre beachtliche Länge. |
Rodelweg
Der im Jahr 1896 gegründete Ortsverein kümmerte sich um das Allgemeinwohl der Rochwitzer Einwohner und der Sommergäste. Der Rodelweg genannte Fußweg bildet, von Obstbäumen gesäumt, die Verbindung zwischen Oberrochwitz und der Grundstraße. Sein Ausbau zum Rodelhang ist dem Ortsverein und rührigen Grundbesitzern zu verdanken. Noch heute lockt er an sonnigen Wintertagen hunderte Besucher an - wie man am gut gefüllten Parkplatz sehen kann, nicht nur aus Rochwitz. Hinter dem Anbau des Gasthofes Oberrochwitz, dem Ballsaal, befand sich das Kassenhäuschen, auch "Rodelhütte" genannt, weil man hier entweder die Fahrscheine (Einzelfahrt oder 5er Karte) bei Walter Petzold lösen oder auch Schlitten ausleihen konnte. Noch bis Anfang der 40er Jahre wurde der Weg ausgeleuchtet. Es wurde auf zwei Bahnen gerodelt. Zum Start musste man ein paar Stufen hoch steigen bis zu den beiden gemauerten Abfahrtstischen, die sich rechts und links neben der Bahn befanden. Die rechte Rodelbahn war die kurvenreiche Bahn, auch "Teufelsbahn" genannt. Der Star unter den Schlittenfahrern war die Familie König, die mit ihrem Vierer-Bob waghalsige Manöver vollführte. Die gerade Bahn reichte fast bis zur Grundstraße hinunter. Mühselig war dann der lange Aufstieg, immer den Rodelweg entlang.Abfahrtstische und Kassenhäuschen am Gasthof Oberrochwitz
Bild: Elbhang-Kurier
Liesbeth Theiler erinnert sich:
Die Rodelbahn bin ich ab 1920 als Kind und später als Jugendliche oft selber runter gefahren. Mehrere Kinder und ich hatten vom Betreiber die Möglichkeit, die Bahn umsonst morgens oder nachmittags "glatt" zu fahren; für alle anderen kostete die Fahrt zwei Pfennig. Unten am Auslauf der Bahn war eine kleine Quelle mit einem kleinen Teich, der im Winter schneebedeckt war und oftmals von Auswärtigen, die dies nicht wussten, angefahren und mit nassen Sachen wieder verlassen wurde. Das Gelächter der Einheimischen war ihnen dann gewiss. Betrieb war rund um die Woche, abends auch bei elektrischer Beleuchtung.
Anfang der fünfziger Jahre mussten im Zuge der Kollektivierung Feldanteile an die LPG abgegeben werden. Damit Maschinen eingesetzt werden konnten, wurden Teile der Bahn aufgegeben. Der obere Teil verkrautete, nur der untere war noch befahrbar. Das Kassenhäuschen wurde wegen Baufälligkeit abgerissen. Unter den Brombeerbüschen am Rodelweg Nr. 5 schlummern im Verborgenen noch die Reste der Abfahrtstische.
Der Rodelweg im Januar 2017
Fotos: JB
Waldrodelbahn
Nur mit viel Phantasie kann man heute noch die ehemalige Rodelbahn im Wald an der Tännichtstraße erahnen.Der Rochwitzer Oberlehrer Max Schneider schreibt in seinen Erinnerungen:
Den größten Massenzulauf erfuhr aber Rochwitz, als der Ortsverein im zweiten Jahrzehnt seines Bestehens die Waldrodelbahn erbaut hatte. Diese Bahn, mitten im Walde, im Zuge der heutigen Wachbergstraße errichtet, mit ihren beiden zum Teil gewagten Kurven, bildete jahrelang eine Wintersensation der Dresdner Umgebung. Tausend und abertausend Dresdner, die bis dahin Rochwitz
kaum dem Namen nach kannten, strömten an winterlichen Sonn- und Wochentagen herbei, um zu rodeln oder dem lustigen Rodelbetrieb zuzuschauen. Der Betrieb führte der Vereinskasse auch namhafte
Mittel für weitere Schöpfungen zu.
Postkarte vom "Kurhaus Rochwitz" (Bergschlößchen)
Sammlung Karl Richter
Im "Loschwitzer Anzeiger" vom 14. März 1911 war neben einem 18 Verse umfassenden Gedicht Blumiges zu lesen:
Da nun auch auf den an Naturreizen reichen Rochwitzer Höhen die lieblichen Schneeglöckchen den von Jung und Alt heißersehnten Frühling einläuten, das herzerfrischende Flöten der zutraulichen Amseln die Schläfer in goldener Morgenfrühe weckt und die zahllosen Knospen an Baum und Strauch verheißungsvoll schwellen, so sehen hiermit die zeitweilig so fröhlich belebten Rodelberge vorübergehender Einsamkeit entgegen.
Schutzhütte Muspelheim (heute Wichernhütte)
Postkarte, Sammlung Karl Richter
In einem Waldgrundstück an der Krügerstraße in Oberrochwitz steht die Wichernhütte, vormals Muspelheim. Dieses Gebäude war bis 1939 eine Rodelhütte und Ausgangspunkt wintersportlicher Aktivitäten. Hier konnten Ski und Rodelschlitten ausgeliehen werden. Postkarten zeigen vor der Hütte den Startplatz der Rodelpiste, die durch das angrenzende Waldstück bis nach Neurochwitz ("Kamerun") führte und an deren Ende die Firma Baugewerke Karl Hanke zwei Tennisplätze errichtete.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die ehemalige Rodelhütte von der Kirchgemeinde übernommen und erhielt den Namen "Wichernhütte". Von 1950 bis 1993 fanden darn Gottesdienste und andere Veranstaltungen statt. Später wurde sie von den Pfadfindern und als Probenraum genutzt. Heute befindet sich darin ein privates Tonstudio.
Abfahrt von der Wichernhütte 1939
Foto: Heinz Zeitler, Neurochwitz
Zusammengestellt von Marlis Behrisch und Rolf Gäbel
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