Schuluhr

Vielen Rochwitzern war es schon längst nicht mehr gegenwärtig, dass sich hinter den hohen Bäumen an der Schmalseite des alten Schulhauses eine Turmuhr verbarg. Die Zeiger auf dem rostigen Zifferblatt waren bereits vor Jahren stehen geblieben und von dem Glockentürmchen auf dem Dach ertönte kein Stundenschlag mehr. Dabei hatte die Uhr den Rochwitzern über hundert Jahre treue Dienste geleistet.

Aus den Erinnerungen des Rochwitzer Lehrers Max Schneider von 1932:
Gleichzeitig gelang dem Leiter der Schule, einen großen örtlichen Übelstand zu beseitigen. Bisher war es hiervor Ort eine besondere Schwierigkeit, die Kinder pünktlich in die Schule zu bekommen, da nur selten einmal - die Bühlauer Kirche existierte ja noch nicht - aus der Ferne ein Glockenschlag sich nach Rochwitz verirrte, und im Übrigen: „Unsere Uhr ging falsch! Nun bekam die Schule eine Turmuhr. Der Schulvorstand wollte zunächst von solchem Luxus nichts wissen, da veranstalteten die Lehrer eine Haussammlung, die 75 % der Kosten ergab und - man sagte Ja, nachdem der Lehrer auf die Frage: "Wer wird sie aber pflegen?" - auch noch versprochen hatte, dies auf Amtszeit zu tun.

Im Zuge einer Renovierung der Schule um 1984 wurde die Uhr nach längerem Stillstand in privater Initiative durch Günter Berthold wieder instandgesetzt und lief dann bis Anfang der 90er Jahre.
Die "Dresdner Neuesten Nachrichten" schrieben 1983:





Uhrengiebel und Glockentürmchen auf dem alten Schulgebäude Fotos: Sammlung Karl Richter

Dann stand die Uhr fast zwei Jahrzehnte still und geriet in Vergessenheit.


Jan Burgemeister:
Es muss 2013 gewesen sein, als ich die Direktorin der 61. Grundschule Frau Rogalla bat, mir den Dachboden aufzuschließen. Ich wollte sehen, was von dem alten Uhrwerk übrig war, an dessen Glockenschlag ich mich noch aus den 80er Jahren erinnerte.
Ich fand es scheinbar unversehrt in der Mitte des Dachbodens zwischen Gerümpel unter einer dicken Staubschicht vor. Der Hausmeister hatte es irgendwann aufgegeben, die schweren Gewichte heraufzukurbeln, nachdem das Werk immer wieder seinen Dienst versagt hatte. Unter dem Staub schimmerte die hundertjährige Mechanik bronzefarben – ich beschloss, mich der Sache anzunehmen.
Zuhause zerlegte ich das Werk und reinigte seine Teile. Mangels Erfahrung holte ich mir Hilfe in einem Turmuhren-Internetforum, wo sich sogleich eine angeregte Fachdiskussion über das historische Relikt entspann. Das Uhrwerk wurde vermutlich 1894 von der Meißner Firma Otto Fischer gefertigt. Seine rechte Hälfte ist das Gehwerk, das für den Antrieb der Zeiger zuständig ist. Die linke Hälfte veranlasst den halb­stündlichen Glockenschlag. Auf den beiden hölzernen Trommeln waren Drahtseile aufgewickelt, an denen über im Dachstuhl befestigte Umlenkrollen ca. 30 kg schwere Gewichte zogen.
Es waren keine größeren Schäden an der Substanz festzustellen. Das Werk ließ sich bald wieder in Gang setzen. Schnell zeigte sich aber, dass das Aufziehen per Kurbel, das früher täglich erfolgte, keine Option mehr war. Es musste ein elektrischer Antrieb her. Da ich mich mit dem "Mut des Unwissenden" an die Arbeit gemacht hatte, blieben Fehlschläge nicht aus, darunter Versuche mit Fahrradfreiläufen und komplizierten Kupplungsmechanismen. Das Problem bestand darin, Motoren an die beiden Kurbel-Vierkante anzubauen, um die Gewichte wieder nach oben zu befördern, aber dadurch das Werk nicht am Ablaufen zu hindern. Dabei versteht es sich von selbst, dass nichts an der Originalmechanik verändert werden durfte. Es schien keine einfache Lösung zu geben und ich war schon kurz davor, aufzugeben. Inzwischen war auch noch eine gravierende Entscheidung gefallen: Das alte Schulhaus sollte abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden. Für eine Fassadenuhr würde es keinen Platz mehr geben. Dem Engagement vieler Rochwitzer, insbesondere vom Siedlerverein, ist es zu verdanken, dass Architekt und Stadtverwaltung schließlich die heutige Lösung erarbeiteten, die das alte Uhrwerk in einer Glasvitrine für alle sichtbar macht.
Ein Seilzug mit Gewichten kam nun aufgrund des fehlenden Platzes in der Vitrine nicht mehr in Frage. Außerdem musste eine optisch ansprechende Lösung gefunden werden. Von einem hilfsbereiten Turmuhren-Freund aus dem Internet bekam ich den Tipp, es doch einmal mit dem Prinzip "Monkey up the Rope" zu probieren. Der "Affe" ist in diesem Fall ein Elektromotor mit Getriebe, der immer wieder an einer Endlos-Kettenschleife empor klettert und durch sein Eigengewicht an der Kette zieht. Diese läuft über ein großes Kettenrad, das auf den Kurbel-Vierkant montiert ist. Damit wird das Uhrwerk in Bewegung gehalten, ganz ohne die alten Seilzüge und die schweren Gewichte. Das schien eine praktikable Lösung zu sein. Die Kettenmechanik ließ sich mit einfach zu beschaffenden Fahrradteilen aufbauen. Mein Mechanikerkollege Axel Kohlsche machte sich an die Arbeit und so entstand die heute sichtbare Lösung. Von ihm stammte auch die Idee, an Stelle einfacher Zusatzgewichte, das Säbelzahn-Eichhörnchen Scrat und dessen geliebte Eichel aus dem Film Ice Age in Blei zu gießen. Er modellierte die Figuren aus Knetmasse und fertigte damit eine Gipsform für den Bleiguss. Das alte Uhrwerk läuft aber heute nur noch aus Freude an der Bewegung. Für unsere Anforderungen an einen Zeitmesser ist das Werk zu ungenau. Es treibt nichts mehr an, außer einem unscheinbaren Nebenzifferblatt aus Acryl, das "nach dem Mond" geht.

Im Oberteil der Vitrine ist heute das originale Zifferblatt zu sehen. Über 30 Jahren nach dem letzten Anstrich befand es sich in beklagenswertem Zustand. Die Farbe war großflächig abgeblättert und hatte große Roststellen freigegeben. Die aufwändige fachmännische Restaurierung übernahm Rolf Gäbel. Die Zeiger werden nun von einer Funkuhr elektrisch gesteuert. Ihren Platz in der Vitrine fand auch die alte Pausenglocke aus Messing, die früher im Erdgeschoss-Gang hing. Zur Einweihungsfeier der neuen 61. Grundschule im Juni 2018 war das Werk vollendet.

Der sorgsam restaurierte sandsteinerne Uhrengiebel hatte bereits 2017 einen neuen Platz gegenüber der Schule gefunden und gibt interessierten Passanten nun einen Einblick in die Rochwitzer Ortsgeschichte.

Ein Wermutstropfen bleibt jedoch: Die historische Glocke wird wohl nie wieder schlagen. Sie ist im Schulgebäude zu besichtigen. Die verantwortlichen Bauherren konnten sich nicht dazu durchringen, einen Platz dafür auf dem Schuldach zu schaffen.


Video von der Einweihung des restaurierten Uhrengiebels (HB)



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