Luftkurort Rochwitz

Heute wird es manchen wundern, wenn von Rochwitz als Kurort die Rede ist. Um das Jahr 1900 erlebten Landgemeinden als Luftkurorte oder Sommerfrischen einen großen Aufschwung. Durch die Industrialisierung war die Stadtbevölkerung einerseits zu einem gewissen Wohlstand gelangt, andererseits erzeugten der Rauch von Fabrikschloten und die ständig wachsende Bevölkerungsdichte ein Bedürfnis nach reiner Luft und Erholung. Wohlhabende Familien zogen, zum Teil mit Hauspersonal, für mehrere Wochen in die "Sommerfrische". Auch Rochwitz mit seiner stadtnahen und landschaftlich reizvollen Lage versuchte, von dieser Entwicklung zu profitieren. Entscheidend dürfte auch der Erfolg des benachbarten, seit 1875 bestehenden Kurorts Weißer Hirsch gewesen sein. Da Rochwitz ordentliche Zugangsstraßen hatte, konnte es ab 1900 die Bezeichnung "Luftkurort" führen.

Am 16. Mai 1900 preist Rochwitz seine Vorzüge im "Loschwitzer Anzeiger":

Als überaus liebliche und gesunde Sommerfrische kommt der nahe bei Dresden gelegene Ort Rochwitz in Aufnahme. 280 m über dem Spiegel der Ostsee, theils im Wald, theils wenige Minuten vom herrlichen gemischten Wald gelegen, gewährt der Ort alles was man von einer Lunge und Nerven stärkenden Sommerfrische fordern kann. Nur 20 bis 30 Minuten von der elektrischen Bahn Loschwitz entfernt, zeigt dieses herrliche Stück Erde eine Rundsicht, wie sie kaum schöner in Dresdens Umgebung zu finden ist. Außerdem ist es der Ausgangspunkt zu vielen lohnenden Ausflügen. Zahlreiche lauschige Bankplätze im Wald, angenehme Gasthöfe und Restaurants mit vorzüglicher Wirtschaft sorgen in jeder Weise für das leibliche Wohl der Sommergäste, und der daselbst wirkende Ortsverein weist bereitwilligst und unentgeldlich billige freundliche Wohnungen und möbilierte Zimmer nach. Der Ort kann daher allen Erholungsbedürftigen bestens als Sommerfrische empfohlen werden.

Luftkurort Oberrochwitz b. Dresden
"Luftkurort Oberrochwitz b. Dresden" (links Café Reichelt) Sammlung Siedlerverein Rochwitz
Gasthof Oberrochwitz, Ballsaal
Gasthof Oberrochwitz, Ballsaal Postkarte Sammlung Karl Richter

Gaststätten von teils beachtlicher Kapazität standen Ausflüglern und Kurgästen zur Verfügung, so zum Beispiel der Gasthof Oberrochwitz mit Ballsaal gegenüber der Schule, das Restaurant ""Sächsischer Jäger", das Café Reichelt auf der heutigen Krügerstraße 69, das neben einem Gästegarten auch eine Pension betrieb oder das weithin bekannte "Restaurant Kamerun" in Neurochwitz. 1896 entstand dort auf der heutigen Kottmarstraße die Gaststätte "Bergschlößchen". In alten Adressbüchern und auf Ansichtskarten wurde die Gaststätte als "Kurhaus Rochwitz" ausgewiesen. Heute befindet sich in dem Gebäude ein Kindergarten.

Bergschlösschen
"Höhenluftkurort Neurochwitz. Café und Restaurant Bergschlößchen", Sammlung Karl Richter

In Rochwitz gab es eine ganze Reihe von Landhäusern, in denen Zimmer, teilweise auch Wohnungen für landlufthungrige Stadtbürger angeboten wurden. Für die Eigentümer war dies eine willkommene Gelegenheit, ihr Einkommen aufzubessern. Am 8. 5. 1907 erfolgte die Einführung einer Ortsabgabe bzw. Kurgebühr. Sommerfrischler und Urlauber mussten folgende Beträge entrichten:
Aufenthaltsdauer 1 Person 2 Personen 3 Personen 3 Personen
bis 1 Monat 1,- Mark 1,50 Mark 2,- Mark 3,50 Mark
über 1 Monat 1,50 Mark 2,25 Mark 3,- Mark 4,- Mark
über 2 Monate 2,- Mark 3,- Mark 4,- Mark 5,50 Mark
Im Adressbuch von 1915/19 können wir über Rochwitz unter anderem folgendes lesen:

Der Ort ist sehr schön gelegen, hat Teile mit herrlicher Aussicht, schöne Waldungen und ist in idyllischer, sowie hygienischer Beziehung berühmten Luftkurorten gleich zu setzen."


Eine besondere Einrichtung war das Erholungsheim der "Fraternitas-Loge", ein reizvolles Gebäude auf der Karpatenstraße 20.

In der Freimaurerloge "Fraternitas" fanden sich Dresdner Bürger jüdischen Glaubens zusammen. Sie wurde 1885 gegründet, existierte bis 1933 und hatte ca. 80 Mitglieder. Zwar wurde sie von den anderen Logen nicht anerkannt, die Mitglieder leisteten jedoch eine nachhaltige Arbeit, der der Freimaurer sehr ähnlich. Obwohl in anderen Dresdner Logen einige Juden zu den Mitgliedern gehörten, waren die jüdischen Logen eine Art Antwort auf die ausbleibende Freundlichkeit ihnen gegenüber, Nichtakzeptanz von Integrationsbestrebungen der Juden sowie wachsendes Misstrauen ohne gerechtfertigte Gründe.(1)

Anfang Juli 1909 wurde das Rochwitzer Ferienheim feierlich eröffnet. Vertreter der Stadt nahmen daran teil. Anschließend besuchte der Präsident der jüdischen Weltorganisation der Bnei Brith-Logen, Alfred Cohen, gemeinsam mit Gästen aus Leipzig, Chemnitz, Plauen, Breslau und Königsberg das Ferienheim. Auch der sächsische König Friedrich August III. kam zu Besuch.
Noch 1937 (!) fand sich folgende Anzeige in der deutschlandweit vertriebenen "CV-Zeitung":
Anzeige CV-Zeitung

Der Schwesternbund der Fraternitasloge übernahm den Betrieb und die fachliche Betreuung des Hauses. Über hundert Kinder konnten hier im Sommer ihre Ferien verbringen. Für Kinder armer Familien war der Aufenthalt kostenlos. Als die Anzahl der Kinder zunahm, wurden ab 1927 zwei Durchgänge von drei Wochen für je 75 Kinder eingerichtet. Außerhalb der Ferien diente das Haus zur Erholung für Logenangehörige aus ganz Deutschland.

Gemeindeblatt der Israelitischen Religionsgemeinde Dresden, Nr. 3/1927:
Am Sonntag, dem 17. Juli, hielten 75 Kinder ihren Einzug in das schöne Ferienheim der Fraternitasloge in Oberrochwitz. Von Eltern und Angehörigen liebevoll geleitet, kamen sie an, blasse Gesichter – Kinder der Großstadt! Gesund und kräftig wird diese Abteilung der Ferienkolonie das Heim am 7. August wieder verlassen, um einer zweiten Schar erholungsbedürftiger Kinder Platz zu machen, die vom 7. bis zum 28. August im Heim Aufnahme finden sollen. In hellen luftigen Räumen sind die Kinder teils in Schlafzimmern, teils in Einzelzimmern untergebracht. Schöne Baderäume stehen zur Verfügung und werden eifrig benutzt. Dreimal in jeder Woche kommt ein Turnlehrer ins Heim, der mit den Kindern turnt und spielt. In einem zum Heim gehörigen Luftbad werden die jungen Kinder der heilkräftigen Wirkung von Luft und Sonne ausgesetzt. Für das leibliche Wohl sorgt die Leiterin des Logen-Erholungsheims, während die Leiterin des Kinderhorts und drei Hilfskräfte die Kinder pflegen und beaufsichtigen. Jede Woche werden die Kinder vom Arzt untersucht; je ein Krankenzimmer für Knaben und für Mädchen, die glücklicherweise in den seltensten Fällen belegt sind, steht zur Verfügung. Reichlich gesunde Kost – viel Gemüse und viel Obst – wird verabreicht. Spaziergänge in den Wald und Ausflüge in die Umgebung sorgen für Abwechslung, und die strahlenden Gesichter der Kinder beweisen, wie wohl sie sich in dem Heim fühlen.

Ab Dezember 1933 änderte sich die Nutzung des Kinderheimes. Ein Teil des Hauses diente als Ferienheim für Familien, im anderen wurde Gärtnerei und Hauswirtschaft gelehrt, als Vorbereitung auf die Auswanderung nach Palästina. Außerdem wurden verschiedene Sprachkurse gehalten. Kindern stand das Heim während der Winterferien zur Verfügung.2

Am 10. April 1937 wurde die Fraternitas-Loge verboten. Das Grundstück wurde enteignet. 1941 diente es als Schulungsheim für die NS-Frauenschaft.

1946 wurden im Gebäude zunächst 15 Wohnungen eingerichtet. In den folgenden Jahren wechselten mehrmals Eigentümer und Nutzung.

Das Gebäude wurde 2014/15 zu Wohnungen umgebaut und steht unter Denkmalschutz.

Im Oktober 2016 wurde vor dem Gebäude auf Initiative der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Dresden e.V. eine Gedenksäule errichtet.

Wenn auch nicht direkt auf Rochwitzer Gemeindegebiet gelegen, sondern in Oberloschwitz unmittelbar daran angrenzend, war Dr. Weidners Sanatorium am Königspark eine weit über Dresden hinaus bekannte Kureinrichtung.
Weidners Sanatorium Weidners Sanatorium
Weidners Sanatorium auf einem Luftbild von 1932 und einer Postkarte um 1940
Foto links: Deutsche Fotothek

Es wurde 1916 von Dr. Eugen Weidner geggründet, der vorher am Lahmann-Sanatorium Weißer Hirsch tätig war. Der Sanatoriumskomplex bestand zunächst aus drei Gebäuden. Im Haupthaus befanden sich Gesellschaftsräume, das Kurmittelhaus beherbergte Behandlungsräume, Badekabinen und Gymnastiksäle. Mit 63 Gästezimmern gehörte das Sanatorium zu den größten in Dresden. Zu den prominentesten Gästen zählte der Dichter Gerhart Hauptmann, der von dort aus Zeuge der Zerstörung Dresdens wurde.

Wer das Weinen verlernt hat, lernt es wieder beim Untergang Dresdens. Ich stehe am Ausgangstor meines Lebens und beneide meine toten Geisteskameraden, denen dieses Erlebnis erspart geblieben ist.

Nach 1945 wurde das Sanatorium von der Roten Armee, später von der Nationalen Volksarmee und der Bundeswehr als Lazarett genutzt. 1991 bis 2010 existierte es als onkologische Fachklinik unter den Betreibern Humaine und Helios. Danach erfolgte der Umbau zu Wohnungen mit mehreren Erweiterungsbauten.

Auf Rochwitzer Flur liegt die Hedwigsquelle, deren Wasser der Sage nach Jugend und Schönheit geben soll. Gleiches wird der nahen Ziegengrundquelle an der Grundstraße nachgesagt.

1 http://freimaurer-wiki.de
2 Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Dresden e.V.

Zusammengestellt von Karl Richter, Tilman Deutscher, Marlis Behrisch und Rolf Gäbel

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